Theodor Storm (1817-1888) war der populärste und meistgelesene deutsche Autor, des ausgehenden 19. Jahrhunderts

 

Weiße Rosen

 

    1

    Du bissest die zarten Lippen wund,
    Das Blut ist danach geflossen;
    Du hast es gewollt, ich weiß es wohl,
    Weil einst mein Mund sie verschlossen.

    Entfärben ließt du dein blondes Haar
    In Sonnenbrand und Regen;
    Du hast es gewollt, weil meine Hand
    Liebkosend darauf gelegen.

    Du stehst am Herd in Flammen und Rauch,
    Daß die feinen Hände dir sprangen;
    Du hast es gewollt, ich weiß es wohl,
    Weil mein Auge daran gehangen.

    2

    Du gehst an meiner Seite hin
    Und achtest meiner nicht;
    Nun schmerzt mich deine weiße Hand,
    Dein süßes Angesicht.

    O sprich wie sonst ein liebes Wort,
    Ein einzig Wort mir zu!
    Die Wunden bluten heimlich fort,
    Auch du hast keine Ruh.

    Der Mund, der jetzt zu meiner Qual
    Sich stumm vor mir verschließt,
    Ich hab ihn ja so tausendmal,
    Vieltausendmal geküßt.

    Was einst so überselig war,
    Bricht nun das Herz entzwei;
    Das Aug, das meine Seele trank,
    Sieht fremd an mir vorbei.

    3

    So dunkel sind die Straßen,
    So herbstlich geht der Wind;
    Leb wohl, meine weiße Rose,
    Mein Herz, mein Weib, mein Kind!

    So schweigend steht der Garten,
    Ich wandre weit hinaus;
    Er wird dir nicht verraten,
    Daß ich nimmer kehr nach Haus.

    Der Weg ist gar so einsam,
    Es reist ja niemand mit;
    Die Wolken nur am Himmel
    Halten gleichen Schritt.

    Ich bin so müd zum Sterben;
    Drum blieb' ich gern zu Haus
    Und schliefe gern das Leben
    Und Lust und Leiden aus.



Knecht Ruprecht

 

 

 

Ruprecht: Habt guten Abend, alt und jung
bin allen wohl bekannt genung.
Von drauß vom Walde komm ich her;
ich muß Euch sagen es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein sitzen;
und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.
Und wie ich so strolcht durch den finsteren Tann,
da rief's mich mit heller Stimme an:
Knecht Ruprecht, rief es alter Gesell,
hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt und Junge sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
und morgen flieg ich hinab zur Erden,
denn es soll wieder weihnachten werden!
So geh denn rasch von Haus zu Haus.
such mir die guten Kinder aus,
damit ich ihrer mag gedenken
mit schönen Sachen sie mag beschenken.
 

 

 

 

Ich sprach: O lieber Herre Christ,
Meine Reise fast zu Ende ist.
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo's eitel gute Kinder hat.
Hast denn das Säcklein auch bei dir?
 

 

Ich sprach: Das Säcklein, das ist hier,
Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
freßen fromme Kinder gern.
Hast denn die Rute auch bei dir?
 

 

Ich sprach: die Rute die ist hier.
Doch für die Kinder, nur die schlechten,
die trifft sie auf den Teil, den rechten.
Christkindlein sprach: So ist es recht.
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!
Von drauß, vom Walde komm ich her,
Ich muß euch sagen es weihnachtet sehr!
Nun sprecht wie ich's hierinnen find:
sind's gute Kind., sind's böse Kind?
 

 

Vater: Die Kindlein sind wohl alle gut,
haben nur mitunter was trotzigen Mut.
 

 

Ruprecht: Ei, ei, für trotzgen Kindermut
ist meine lang Rute gut!
Heißt es bei Euch denn nicht mitunter:
Nieder den Kopf und die Hosen herunter?
 

 

Vater: Wie einer sündigt so wird er gestraft;
die Kindlein sind schon alle brav.
 

 

Ruprecht: Stecken sie die Nas auch tüchtig ins Buch,
lesen und scheiben und rechnen genug?
 

 

Vater: Sie lernen mit ihrer kleinen Kraft,
wir hoffen zu Gott, daß es endlich schafft.
 

 

Ruprecht: Beten sie denn nach altem Brauch
im Bett Ihr Abendsprüchlein auch?
 

 

Vater: Neulich hört ich im Kämmerlein
eine kleine Stimme sprechen allein;
und als ich an die Tür getreten,
für alle Lieben hört ich sie beten.
 

 

Ruprecht: So nehmet denn Christkindleins Gruß,
Kuchen und Äpfel, Äpfel und Nuß;
probiert einmal von seinen Gaben
morgen sollt ihr was beßeres haben.
Dann kommt mit seinem Kerzenschein
Christkindlein selber zu euch herein.
Heut hält es noch am Himmel Wacht;
nun schlafet sanft, habt gute Nacht.

 

 

 

Mondlicht

Wie liegt im Mondenlichte
Begraben nun die Welt;
Wie selig ist der Friede,
Der sie umfangen hält!

 

Die Winde müssen schweigen,
So sanft ist dieser Schein;
Sie säuseln nur und weben
und schlafen entlich ein.

 

Und was in Tagesgluten
Zur Blüte nicht erwacht,
Es öffnet seine Kelche
Und duftet in die Nacht.

 

Wie bin ich solchens Friedens
seit lange nicht gewohnt!
Sei du in meinem Leben

Der liebevolle Mond!